
4
»lch hoffe nur, du weißt, was du tust.« Cyrene ließ den Ast los, bevor ich ihn packen konnte. Er schnellte mir nass ins Gesicht. Ich rieb mir die schmerzende Wange und blickte finster auf den Hinterkopf meines Zwillings, was in dem dichten Nebel, der über dem Wald waberte, nicht leicht war. Die Wassertropfen, die von den Blättern zu Boden fielen, wurden zwar von dem dichten Unterholz sofort aufgesogen, aber das stetige Plätschern war doch nicht zu überhören.
»Einen Dämonenfürsten zur Schatzkammer eines Drachen mitzunehmen, ist nicht gerade die klügste Idee, die du jemals gehabt hast, Mayling.«
Dieses Mal fing ich den Ast, den sie losließ, gerade noch rechtzeitig. Innerlich murmelte ich Verwünschungen, während ich hinter ihr hertrottete.
»Kostya ist nicht glücklich über seine Anwesenheit«, fügte Cyrene hinzu. Sie drehte sich um und warf mir einen strengen Blick zu, bevor sie über einen umgestürzten Baumstamm hüpfte. Sie rutschte ein Ufer herunter, und kurz war ihr Kopf nicht zu sehen, aber ihre Stimme drang immer noch zu mir. »Überhaupt nicht glücklich.«
»Das überrascht mich nicht. Kostya ist nie glücklich«, murmelte ich, während ich hinter ihr herrutschte. Meine Haare klebten feucht an meinen Wangen.
Vor uns waren Gabriel, Kostya und Savian in ein Gespräch vertieft. Magoth folgte ihnen, und die vier Männer stampften einen Weg durch den matschigen Wald, der die perfekte Kulisse für einen düsteren Horrorfilm abgegeben hätte. Dicke Lianen hingen von den eng stehenden Bäumen, und feuchtes Moos bedeckte jede Oberfläche.
Es war seltsam ruhig, da nichts durch den watteweichen Nebel drang, der uns einhüllte. Nur gelegentlich hörte man über dem tropfenden Wasser das Sirren eines Moskitos.
Einer der kleinen Halunken landete mitten auf Cyrenes unbedecktem Nacken. Ich schlurfte schneller an sie heran und versetzte ihr einen festen Schlag.
Überrascht fuhr sie herum.
»Moskito«, erklärte ich.
Sie kniff die Augen zusammen. »Oh, du hättest wohl gerne, dass ich das glaube. Aber ich kenne die Wahrheit - du bist nur sauer, weil Kostya wütend auf dich ist, und jetzt lässt du es an mir aus.«
Ich versetzte ihr einen kleinen Schubs, damit sie weiterging. Magoth, der teure Wanderkleidung trug, die er sicher meiner Kreditkarte verdankte, verschwand gerade hinter einer Gruppe von Feigenbäumen. »Mir ist es völlig egal, ob Kostya wütend auf mich ist. Und wenn du nicht in der Wildnis des ländlichen Lettlands enden willst, solltest du lieber weitergehen.«
Murrend setzte Cyrene sich in Bewegung. »Ich wollte ja auch nur darauf hinweisen, dass du ganz alleine daran schuld bist, wenn Kostya schlechte Laune hat. Es macht ihn schon nicht besonders glücklich, dass du und Gabriel hier seid, aber als du dann auch noch Magoth angeschleppt hast, habe ich gedacht, er beruhigt sich nie mehr.«
»Ich habe es mir nicht ausgesucht, dass Magoth hier ist«, erwiderte ich und erschlug einen Moskito, der auf meinem Arm gelandet war. »Wie du weißt, hat er sich selbst eingeladen, und da ich ihn nicht zwingen kann zu tun, was ich will, hielten wir es für besser, ihn mitzunehmen, damit wir ihn im Auge behalten können. Sonst wäre er uns nur gefolgt und hätte Gott weiß was angestellt.«
»Hmmpphh! Kostya mag Magoth nicht.«
Ich holte tief Luft und hielt sie einen Moment lang an. »Ehrlich gesagt fände ich es auch erstaunlich, wenn Kostya überhaupt etwas mögen würde.«
»Oh doch, er mag sogar einiges!« Cyrene ließ einen Zweig absichtlich zu früh los.
Ich warf ihr einen bösen Blick zu. »Und was zum Beispiel?«
Schweigend marschierte sie weiter und überlegte. »Nun ja, im Moment fällt mir nichts ein, aber es gibt wirklich viele Sachen. Oh ... Oralsex! Oralsex mag er sehr.«
Jim, der gerade an einer Koboldspur geschnüffelt hatte, hob den Kopf. »Es gibt keinen einzigen Mann, der das nicht mag«, sagte er und spuckte einen winzigen Stiefel aus. »Wenn ich nicht mein eigenes Gemächt lecken könnte ...«
»Es reicht!«, unterbrach ich ihn hastig.
Jim warf mir einen verletzten Blick zu. »Ich wollte sagen, wenn ich das nicht könnte, hätte ich eine menschliche Gestalt gewählt. Ts, ts, manche Leute haben wirklich schmutzige Gedanken.«
»Schmutzige Gedanken sind das Zeichen für eine gesunde Libido, sage ich immer«, erklärte Magoth, der plötzlich hinter einer Felsengruppe auftauchte. »Was macht ihr Mädels hier hinten? Habt ihr etwa lesbische Gelüste? Wenn ihr wollt, könnten wir einen schnellen Dreier wagen.«
Er zog anzüglich die Augenbrauen hoch, aber Cyrene verdrehte nur die Augen und drängte sich an ihm vorbei.
»Ihr könntet ein Magoth-Sandwich haben«, schlug er vor.
Eine von euch beginnt oben und die andere unten. In der Mitte trefft ihr euch dann.«
In mir rührte sich etwas.
»Das ist noch nicht mal lustig«, erklärte Cyrene.
»Es mag ja ein bisschen egoistisch von mir sein, das gebe ich gerne zu. Wie wäre es denn damit - du und dein Zwilling, ihr liebt euch und ich gucke zu und gebe euch Tipps?«
Die Haare in meinem Nacken richteten sich auf.
Cyrene warf ihm einen verweisenden Blick zu. »Ich habe es dir doch schon gesagt - ich bin Kostyas Gefährtin.«
»Er könnte auch gerne mitmachen, obwohl es mit zwei Männern nicht so viel Spaß macht«, sagte Magoth nachdenklich. »Aber wir finden bestimmt Wege. Ich habe seit mindestens einer Woche keine Orgie mehr gehabt. Nein, stimmt nicht, seit zehn Tagen. Aber wenn dein Herz so sehr daran hängt, könnte ich mich damit abfinden.«
Ich biss die Zähne zusammen und ging in weitem Bogen an Magoth vorbei. »Du bist nicht die Gefährtin eines Drachen, Cy.«
Magoth blickte mich lüstern an, als ich vorbeiging, und in diesem Moment wurde mir klar, dass das Stück Drachenherz nicht nur auf Magoth, sondern auch auf die Umgebung reagierte. Sie war so ursprünglich, und die Macht der Erde schien alle Lebewesen einzuhüllen. Eine gewaltige Welle von Emotionen schlug über mir zusammen.
»Hol Gabriel«, keuchte ich und schlang die Arme um mich, um den Drachen in mir in Schach zu halten.
»Was?«
»Oh Mann, das ist nicht gut«, meinte Jim und musterte mich besorgt. »Du willst das Unaussprechliche mit Magoth tun, was? Direkt hier draußen, wo Gabriel zugucken kann? Warte mal! Ich muss gerade mal mein Handy herausholen. Ash will bestimmt ein Bild davon haben ...«
Verblüfft schaute Magoth uns an, aber dann verfiel er sofort wieder in seine übliche verführerische Rolle. »Ich wusste, dass der Tag kommen würde, an dem du nachgeben und ...«
»Halt den Mund«, knurrte ich und kämpfte gegen die Verwandlung an. »Cy, um Himmels willen, hol Gabriel!«
»Was ist los mit dir?«, fragte sie und marschierte auf mich zu. Ich hatte mich so zusammengekrümmt, dass ich nur ihre Füße sehen konnte. »Versuchst du, Mitgefühl zu erregen? Dann ist nämlich ...«
Silber schimmerte über meine Arme und Beine und mein ganzer Körper streckte sich in eine Form, die für einen Doppelgänger nicht normal war.
Cyrene trat zwei Schritte zurück und schlug überrascht die I land vor den Mund. »Ich hole Gabriel«, sagte sie erschrocken.
Ich knurrte irgendetwas Unverständliches und wirbelte zu Magoth herum. Er betrachtete mich mit geschürzten Lippen und nachdenklichem Gesichtsausdruck. »Ach, du tust es also .im liebsten in Drachengestalt? Das habe ich noch nie gemacht. Drachen haben ja seltsamerweise was dagegen, Abaddon zu besuchen, aber wenn du darauf bestehst, kann ich bestimmt dafür sorgen, dass es klappt.«
»Oh Mann, oll Mann, oh Mann«, sagte Jim. Er hielt sein Handy m der Schnauze und drückte mit einer seiner Pfoten eine Taste, um ein Foto zu machen. »Das ist großartig! Dieses Video macht mich reich!«
Ich schlug ihm das Handy mit dem Schwanz aus der Schnauze, so dass es ins Gebüsch flog.
»Das war Aislings Handy!«, protestierte Jim.
Ich kniff die Augen zusammen und hauchte dem Dämon meinen Feueratem entgegen. »Willst du ihm folgen?«
»Beeil dich mit Gabriel!«, brüllte Jim Cyrene hinterher. »May wird wild!«
Wild. Das Wort klang in mir nach. Ich genoss die Macht, die ich auf einmal hatte. Ich war wild. Ich war ein Drache, und hier war mein Platz.
Magoth trat auf mich zu, und bei jedem Schritt fielen seine Kleider von ihm ab, bis er splitterfasernackt vor mir stand. Er stemmte eine Hand in die Hüfte und bedachte mich mit einem wissenden Blick. »Sollen wir anfangen?«
Ich lächelte und ließ meinen Feueratem über seinen erigierten Penis gleiten.
Einen Moment lang blieb Magoth der Mund offen stehen, aber dann packte er meinen Kopf mit beiden Händen und drückte seine Lippen auf meine.
»May!« Gabriels Stimme klang leise und schwach, als sei er weit entfernt, nicht nur hundert Meter vor mir.
»Du hast wahrscheinlich keine Digitalkamera in deiner Tasche, oder? Ich schaue mal nach, okay?«, sagte Jim.
Ich ließ mich einen Moment lang von Magoth küssen. Das Stück Drachenherz analysierte die Empfindung. Die unterschiedliche Form unserer Münder machte seinen Kuss weniger effektiv als gewöhnlich, aber das war nicht der Grund, warum ich letztendlich beschloss, seine Avancen zurückzuweisen.
Es lag an der Umgebung. Das Land um mich herum sprach mich an, nicht Magoth. Ich stieß ihn weg, als Gabriel auf mich zugerannt kam. Savian folgte ihm dicht auf den Fersen. Dahinter kamen Kostya und Cyrene, und alle vier beobachteten verblüfft, wie sich mein Schwanzende um Magoths Taille wickelte, ich ihn hochhob und einige Meter weiter in einen dicken Baum schleuderte.
»Wow, toll. Das gibt zumindest eine Bronzemedaille im Dämonen-Weitwurf«, sagte Jim und beobachtete interessiert, wie Magoth aus der Baumkrone auf den Boden rutschte.
»Danke nein!«, rief ich Magoth zu und wandte meine Aufmerksamkeit Gabriel zu. Das Stück Drachenherz summte glücklich, als es ihn sah, und ich überlegte einen Moment lang, ob ich mich nicht auf ihn stürzen sollte. Ihm würde das bestimmt gefallen - es war ein Paarungsspiel der Drachen, und er würde sicher darauf reagieren.
»Ja, das würde ich«, sagte er und las mal wieder meine Gedanken, »aber du würdest es nicht wollen.«
Ich verzog schmollend den Mund.
»Mein Liebling!« Magoth, der immer noch nackt war, aber jetzt kleine Zweige und Blätter im Haar hatte und mit Schmutz und Erde bedeckt war, taumelte auf mich zu. »Meine süße, mächtige May! Deine Vorstellung von Vorspiel gefällt mir sehr! Machen wir es noch einmal?«
Erneut packte ich ihn mit der Schwanzspitze, und er flog kreischend vor Entzücken durch die Luft, bis er erneut in einen Baum krachte. Leise gurrend rutschte er den Stamm herunter.
»Silbermedaille. Jetzt solltest du aber auch noch Gold versuchen«, schlug Jim vor.
»May, warum hast du dich verwandelt?«, fragte Gabriel und streichelte mir über den langgestreckten Nacken.
Ich erschauerte bei seiner Berührung und lehnte den Kopf an seine Brust. »Ich weiß nicht. Jagst du mich?«
»Was ist hier los?«, fragte Kostya. Er drängte sich zwischen Gabriel und Savian hindurch, um mich zu betrachten.
Ich leckte über Gabriels Nacken.
»Oh, das ist hier los. Äh ...« Kostya blickte Gabriel an.
»Nein, das ist nicht normal. May umarmt nicht ihren inneren Drachen«, beantwortete er die unausgesprochene Frage. »May?«
»Ich hatte einfach Lust dazu«, erwiderte ich und schlang meinen Schwanz um sein Bein. »Es liegt an diesem Ort hier. Es fühlt sich so richtig an, als ob ich nach einer langen, langen Reise nach Hause gekommen wäre. So als ob wir hier spielen müssten.«
»Spielen?« Gabriel blickte sich um.
»Was soll das heißen, spielen?« Cyrene blickte mich stirnrunzelnd an. »May, ehrlich! Du solltest ihm vor Magoth besser nicht so am Ohrläppchen knabbern!«
»Mir geht es gut! Macht euch keine Sorgen um mich!«, rief Magoth aus der Ferne. Man sah von ihm nur seine Hand, die aus dem Unterholz winkte. »Ich glaube, ich habe mich verliebt.«
»Für Drachen gehört Spielen zur Paarung«, erklärte Kostya und blickte sich ebenfalls prüfend um.
»Wirklich?« Cyrene bedachte ihn mit ihrem Stirnrunzeln. »Du spielst nie mit mir, wenn wir uns lieben.«
»Das ist etwas anderes. Du bist ein Mensch.«
»Bin ich nicht! Ich bin eine Najade.«
»Aber du siehst menschlich aus«, sagte er.
»Naja, May doch auch. Zumindest die meiste Zeit.«
Magoth taumelte auf uns zu. Noch mehr Zweige und Blätter hingen an ihm. Gestikulierend trat er zu mir. »Noch einmal, meine süße ...«
Wie ein Peitschenhieb traf ihn meine Schwanzspitze. Jim stieß einen Pfiff aus. »Das wird olympischer Rekord. Sehr schön, May! Ich glaube, das hat ihn umgehauen.«
Magoths leblos wirkender Körper plumpste mit einem dumpfen Knall aus dem Baum zu Boden.
»Ich gehe den Casanova mal retten, was?«, sagte Savian. Er warf mir einen Blick zu und lief dann zu Magoth, der anscheinend in giftigen Efeu gestürzt war.
»Mayling, sag mir, was du fühlst«, sagte Gabriel. Er legte mir die Hand auf den Nacken.
Ich blickte ihm tief in die Augen und zeigte ihm meine Gefühle.
»Nein, nicht das.« Seine Grübchen vertieften sich. »Das weiß ich doch. Was fühlst du an diesem Ort hier?«
Seufzend versuchte ich, die lustvollen Bilder von Gabriel zu verdrängen. »Es ist... richtig. Es ist ein guter Ort. Ich fühle mich glücklich hier.«
»Fühlst du dich glücklich hier oder eher das Stück Drachenherz?«, fragte er.
Konzentriert lauschte ich nach innen. »Eher das Drachenherz. Es gefällt ihm hier.«
Gabriel und Kostya wechselten Blicke; dann drehten sie sich beide gleichzeitig nach einer Felsgruppe um, die ein paar Meter entfernt war. Die Felsen ragten aus der Erde wie eckige Finger, deren Kanten über die Jahre mit Moos und Pflanzen bewachsen waren.
»Die Schatzkammer?«, fragte Gabriel Kostya.
Er nickte. »Das muss sie sein.«
»Was soll das heißen, die Schatzkammer? Wir haben sie doch schon gefunden«, sagte Cyrene. »Sie ist dort drüben.« Sie zeigte nach Süden.
»Das ist ein falscher Eingang«, erklärte Kostya.
»Er wurde errichtet, um diejenigen zu täuschen, die danach suchen«, fügte Gabriel hinzu. »Sehr clever. Ich hätte das Gleiche gemacht, allerdings weiß ich nicht, ob ich mir dann die Mühe eines Bindezaubers gemacht hätte.«
»Du musst zugeben, dass es überzeugend war«, sagte Kostya. Die beiden Männer gingen auf die Felsen zu.
Savian tauchte auf und schleppte einen schlaffen Magoth hinter sich her. Er ließ ihn zu Boden gleiten und blickte Gabriel und Kostya nach, die gerade die Felsen untersuchten. »Was habe ich verpasst?«
Summend tippte ich mit den Klauen auf den Boden. »Sie glauben, das ist der Eingang zu Baltics Schatzkammer.«
»Das ist nicht dein Ernst. Das?« Savian blickte sich suchend um. Dann schüttelte er den Kopf. »Ich kann sie nirgendwo sehen. Wo soll sie denn sein?« »Ich würde sie dir ja zeigen, aber ich bin gerade anderweitig beschäftigt«, erklärte ich, während vor meinem inneren Auge Bilder von Gabriel auftauchten, der mich durch den Wald jagte.
Savian musterte mich und schürzte die Lippen.
»Ich lenke das Stück Drachenherz ab, während ich versuche, mich wieder zu verwandeln«, beantwortete ich seine unausgesprochene Frage. »Wenn ich Gabriel zu nahe komme, wird es von mir verlangen, dass ich mich auf ihn stürze, deshalb gestatte ich ihm alle möglichen Fantasien darüber, wie er mich durch den Wald jagt. Ooohh! Die war jetzt wirklich gut!«
Nach und nach funktionierte meine Taktik, und ich verwandelte mich wieder in meine normale Gestalt. Savian nickte und gesellte sich zu den anderen, um die Felsen ebenfalls nach dem Eingang zu untersuchen.
»Halb Zuckerpuppe, halb Drache, und ich habe keine Kamera«, seufzte Jim und setzte sich auf Magoths reglose Gestalt. »Das Leben ist schwer.«
»Er ist doch nicht tot, oder?«, fragte ich und wies mit dem Kinn auf Magoth.
Jim schnüffelte an seinem mit Erde bespritzten Gesicht. »Nein, nur bewusstlos.«
»Gut.«
»May, wir brauchen dich«, rief Gabriel.
»Tut mir leid, aber ich kann gerade nicht. Ich habe erst ein richtiges Bein und einen Arm«, antwortete ich und winkte mit meinem fast menschlichen Arm.
»Wir brauchen dich in Drachengestalt.«
»Ach ja? Warum?« Das Stück Drachenherz hörte auf, sich heißen Sex mit Gabriel unter dem Sternenhimmel vorzustellen, und konzentrierte sich erneut auf ihn.
»Jetzt geht das schon wieder los. Aber so aufregend ist es auch nicht, einen Drachen in seiner natürlichen Gestalt zu sehen«, erklärte Jim mit verächtlichem Schnauben.
»Das Stück Drachenherz in dir gehörte Ysolde. Sie hatte eine Verbindung zu diesem Ort wegen ihrer Beziehung zu Baltic. In Drachengestalt kannst du die Macht des Drachenherzens leichter nutzen.«
Ich marschierte zu Gabriel. »Ihr seid doch beide Drachen. Warum könnt ihr beide das denn nicht?«
Er grinste mich an. »Ja, aber wir haben nicht so eine entzückende Drachengestalt wie du.«
Ich warf ihm einen heißen Blick zu.
Er lachte. »Weder Kostya noch ich können den Eingang zur Schatzkammer entdecken, aber vielleicht zeigt das Stück Drachenherz ihn dir.«
»Ja, selbst vor mir ist der Eingang gut verborgen.« Kostya betrachtete die Felsen mit finsteren Blicken.
»Ich meine ja, ihr bellt den falschen Baum an«, warf Savian ein und schüttelte den Kopf. »Ich würde es spüren, wenn das der Eingang zu einer Schatzkammer wäre.«
»Na gut«, grummelte ich. »Aber ich bin nicht glücklich, wenn ich mich nicht mehr zurückverwandeln kann.
»Wie fühlst du dich?«, fragte Gabriel, der mich aufmerksam beobachtete.
Das Stück Drachenherz hätte am liebsten vor Glück getanzt.
»Im Moment?« Ich hielt kurz inne, nahm alle Kraft zusammen und ließ meinen Schwanz so fest auf die Felsen niedersausen, dass die Umstehenden zurückgeschleudert wurden und die Steine in einer Wolke aus Staub und Schutt detonierten. Als die Sicht wieder klar war, stieg der schwere, verlockende Geruch nach Gold aus der Dunkelheit empor. »Im Moment fühle ich mich großartig.«
Gabriel war als Erster wieder auf den Füßen, aber Kostya warf sich mit dem ganzen Körper über das Loch, das in die Schatzkammer führte. »Der Schatz gehört mir!«
»Gold!«, gurrte ich und reckte mich sinnlich.
»Meins!«, brüllte Kostya.
»Wir sind in der Überzahl«, erklärte ich.
Cyrene, die sich murrend den Staub aus den Kleidern klopfte, sprang sofort neben Kostya. »Oh nein, keineswegs!«
»Wir haben Jim und Savian«, sagte ich. Auch Gabriel, dessen Augen vor Lust blitzten, machte einen Schritt auf das Loch zu. Auch er roch das Gold.
»Wir haben vereinbart, dass ihr das Stück Drachenherz bekommt!«, schrie Kostya. »Ihr wollt es benutzen, damit May ihre ursprüngliche Gestalt wieder erlangt. Mehr nicht! Der Rest der Schatzkammer gehört den schwarzen Drachen!«
»Genau!«, sagte Cyrene.
Ich rutschte an die Felskante zurück, bis zu dem fast unsichtbaren Pfad, auf dem Magoth lag und schnarchte.
Gabriel beobachtete mich.
»Kostya hat recht«, sagte ich zu ihm, ohne auf die Forderung des Drachenherzens zu achten, das am liebsten das ganze Gold genommen hätte. Erneut begann ich mich zu verwandeln. »Ich würde zwar auch das Gold gerne sehen, es riecht so gut, aber wir haben vereinbart, dass er uns das Drachenherz überlässt, wenn wir ihn im Weyr unterstützen.«
Gabriel seufzte schwer, aber er sprang von den Felsen herunter und winkte Kostya zu. »Ich beuge mich dem Verlangen meiner Gefährtin. Solange du uns das Modana-Phylakterion überlässt, werde ich dir die Schatzkammer nicht streitig machen.«
Es gefiel Kostya zwar nicht, uns das Stück Drachenherz zu überlassen, aber er hatte der Vereinbarung zugestimmt, auch wenn er es jetzt bedauerte. Er nickte Gabriel kurz zu, dann ergriff er eine Liane und schwang sich über das Loch in die gähnende Dunkelheit hinein. Cyrene wollte ihm folgen, blieb aber stehen, als sein Kopf wieder auftauchte. Er blickte sie finster an.
»Das ist meine Schatzkammer, Cyrene. Nur schwarze Drachen dürfen diesen Schatz sehen.«
»Ich bin deine Gefährtin«, sagte sie und versuchte, ihn beiseitezudrängen, damit sie auch in das Loch klettern konnte.
Er seufzte schwer und warf mir einen wehleidigen Blick zu.
»Die Suppe hast du dir selbst eingebrockt«, sagte ich zu ihm. Ich war immer noch damit beschäftigt, dem Stück Drachenherz in mir die Kontrolle über meinen Körper zu entreißen. »Jetzt musst du sie auch alleine auslöffeln. Verdammt, Gabriel, der Geruch des Goldes ist zu viel für mich. Ich kann mich hier nicht zurückverwandeln. Wir müssen woanders hingehen.«
»Aber natürlich bin ich deine Gefährtin! Naja, nicht in technischer Hinsicht, aber in anderer schon, und das zählt auch.«
»Dann gehen wir irgendwohin, wo du dich wohler fühlst«, sagte Gabriel sofort. Er hätte bestimmt lieber darauf gewartet, dass Kostya das Phylakterion aus der Schatzkammer holte, aber er geleitete mich selbstlos den Pfad entlang.
»Nein, das zählt nicht«, sagte Kostya. »Du bist kein schwarzer Drache, Cyrene. Ich bin dir dankbar für deine Hilfe und Unterstützung ...«
»Oh! Das könnte dir so passen! Du schleppst mich überall mit hin, und dann lässt du mich einfach fallen, wenn es für dich gut läuft? Nun, da habe ich auch noch ein Wörtchen mitzureden, mein lieber Drache!«
Zum Glück hörten wir Cyrene bald nicht mehr, aber es dauerte fünf Minuten, bis wir das Gold nicht mehr riechen konnten. Endlich konnte ich mich wieder auf mich konzentrieren, um meine Verwandlung einzuleiten.
Kurz darauf kamen auch Savian und Jim.
»Entschuldigung, wir wollten nicht stören«, sagte Savian. Gabriel strich mir gerade beruhigend über den Rücken, während ich mich verwandelte. »Aber dein Zwilling ist ein bisschen ... äh ...«
»Zickig«, ergänzte Jim.
»Heftig«, korrigierte Savian ihn und lächelte mich an.
»›Heftig‹ reicht nicht, wenn man die Schatzkammer von jemandem unter Wasser setzen will. Mit ›zickig‹ ist das besser umschrieben«, widersprach Jim.
»Agathos daimon«, fluchte ich leise und blickte Gabriel an. »Wenn sie schon mit Wasser droht, muss sie wirklich stinksauer sein. Ich gehe vielleicht besser zurück, um sie zu beruhigen.«
»Nein, dann verwandelst du dich nur wieder«, erwiderte Gabriel. »Ich gehe.«
»Ich glaube nicht, dass sie auf dich hört«, sagte ich und wandte mich zum Gehen.
»Hört sie überhaupt auf jemanden?«, fragte Jim.
»Schweig, Dämon«, sagte ich. In diesem Moment tauchte Cyrene auf, einen verwirrt aussehenden Magoth im Schlepptau.
»Das war es!«, schrie sie, als sie uns erblickte. Sie gestikulierte wild mit der freien Hand. »Es reicht mir jetzt! Es reicht mir total mit diesem ... diesem ...«
»Drachen?«, bot ich ihr an, als sie vor mir stehen blieb. Sie ließ Magoth los, der sofort auf dem Boden zusammenbrach.
Er war immer noch nackt, allerdings nicht mehr erregt. Auf dem Kopf trug er eine Krone aus einem uralten, unbewohnten Vogelnest, schmutzigen Spinnweben und ein paar Blättern, die hinter seinem linken Ohr herausragten.
»Da bist du ja, süße May«, sagte er und sah mich lüstern an. »War es für dich genauso gut wie für mich?«
»Besser«, erwiderte ich und gestattete mir ein kleines Lächeln.
Gabriel warf mir einen verweisenden Blick zu, und ich wurde sofort wieder ernst. »Cy, du hast doch hoffentlich Kostyas Schatzkammer nicht geflutet?«
»Nein, aber er hätte es verdient«, stieß sie hervor. »Ich werde jedoch kein Wasser an dieses ... dieses Tier verschwenden! Weißt du, was er zu mir gesagt hat?«
»Ja«, unterbrach ich ihre Tirade. »Ich glaube, wir kehren jetzt besser in den Ort zurück. Gabriel?«
Er zögerte einen Moment lang und blickte zu der Baumgruppe, die Kostya vor unseren Blicken verbarg. »Geh du schon mal vor. Ich komme mit Kostya nach.«
Ich nickte und ergriff Cyrenes Arm. »Komm, mein Zwilling. Wir gehen in den Ort und trinken etwas. Du siehst so aus, als ob du es gebrauchen könntest, und ich hätte auch nichts dagegen. Gabriel sorgt schon dafür, dass deinem Freund nichts passiert.«
»Er ist nicht mehr mein Freund. Das ist vorbei. Hörst du? Vorbei! Ich bin fertig mit ihm! Aber ich hätte gerne etwas zu trinken. Glaubst du, hier gibt es Perrier Lemon? Das trinke ich doch so gerne!«
»Und du wirst betrunken davon«, erwiderte ich und ging voraus. Um die Schatzkammer machte ich einen großen Bogen. »Nur ein Wasserwesen kann Mineralwasser wirklich berauschend finden. Aber zumindest kann man dich mit wenig Geld zufriedenstellen.«
»Willst du deinen Boss hierlassen?«, fragte Jim.
Ich ließ Cyrenes Arm los und drehte mich nach Magoth um, der sich immer noch auf dem Boden lümmelte.
»Das würde ich ja nur zu gerne, aber es ist wahrscheinlich sicherer für die sterbliche Welt, wenn jemand ein Auge auf ihn hat.«
Magoth lächelte. »Du kannst mit mir machen, was du willst, meine Süße - ich habe die Wahrheit in deinen Drachenaugen gesehen. Du willst mich. Du begehrst mich. Du verlangst nach dem, was nur ich dir geben kann.«
Erneut zeigte er Anzeichen von Erregung, wie ich entsetzt feststellte. Hastig überlegte ich, wie ich ihn ablenken könnte, damit das Stück Drachenherz nicht schon wieder so auf seine Geilheit reagierte.
»Zieh dich an, und dann lade ich dich zu einer Flasche Bollinger ein«, sagte ich zu ihm.
Magoth liebte Bollinger, aber es reichte nicht, um seine Gedanken von seinem verfluchten Penis abzulenken. Langsam stand er auf. Die Tatsache, dass er eher wie ein schlammiges Sumpfmonster aussah, schien ihn nicht zu stören. » Willst du die Tatsachen nicht wenigstens abstreiten? Kluge Frau!«
»Nein, ich werde nicht mit dir streiten«, erwiderte ich ruhig und wies in die Richtung, in die wir gehen mussten. »Du kannst mit uns kommen oder hier bleiben, ganz wie du willst, aber entscheide dich jetzt endlich. Ich habe nicht vor, den ganzen Nachmittag hier zu stehen und mich von Moskitos stechen zu lassen.«
»Ich würde dich nur zu gerne ...«, setzte Magoth an.
»Ich glaube, wir können uns alle vorstellen, was für eine sexuelle Belästigung du schon wieder im Sinn hast«, unterbrach ich ihn.
Seine Augen blitzten wütend auf. »Dieser Bastard Bael soll in den Feuern von Abaddon gebraten werden«, stieß er frustriert hervor. »Ich kann dich noch nicht einmal mehr verführen! Dafür wird er mir bezahlen! Alle werden sie dafür bezahlen, dass sie mich so entehrt haben!«
»Du brauchst dich gar nicht zu beklagen«, sagte Cyrene zu ihm. »Deine Liebe ist schließlich nicht vom hassenswertesten Mann der Welt mit Füßen getreten worden!«
Magoth warf ihr einen bösen Blick zu, aber Cyrene bemerkte es in ihrer Empörung gar nicht.
»Wo sind deine Kleider?«, sagte ich, als Magoth an mir vorbei stürmte. Cyrene lief hinter ihm her, wobei sie immer noch über Kostya wütete.
»Und weißt du, was er sagte? Er sagte, er hätte keine Zeit mehr für mich. Er bräuchte seine ganze Aufmerksamkeit, um die Sippe wieder zusammenzubringen, und da könnte er sich nicht auch noch mit mir befassen. Befassen! Ja! Das hat er tatsächlich gesagt! Kannst du das glauben? Ich werde seine Eier an die Haie verfüttern, da kannst du Gift drauf nehmen!«
Er ignorierte Cyrene und warf mir einen hochmütigen Blick zu. »Ich bin Magoth, der sechste Fürst von Abaddon ...«
»Ehemalige Fürst von Abaddon«, warf Jim ein.
Auch den Dämon ignorierte Magoth.
»... Herr über dreißig Legionen ...«
»Die jetzt Bael unterstehen«, unterbrach Jim ihn erneut.
Cyrene trommelte Magoth auf die nackte Brust. »Ich bin doch überhaupt nicht problematisch. Ich bin eine Najade! Wir sind die angenehmsten aller Elementarwesen! Mit mir braucht man sich nicht zu ›befassen‹! Meine Rache wird so tief sein wie der Ozean und so dunkel wie der ... äh ... der Ozean. In den tiefsten Abschnitten ist es nämlich echt dunkel!«
»... Marquis des Ordens der Dominanz!«,brüllte Magoth, damit man ihn über den Stimmen von Cyrene und Jim noch hören konnte. Seine Stimme hallte noch ein wenig nach, und langsam verstummte der Lärm.
Wir alle blickten Magoth an.
»So etwas wie Kleider brauche ich nicht«, erklärte er. Mit großer Würde drehte er sich um und marschierte in den Ort zurück.
»Willst du ihm sagen, dass er eine große Nacktschnecke auf der einen Arschbacke kleben hat?«, fragte Jim.
Magoths Schulter zuckte, aber er blieb nicht stehen. Er ging einfach weiter.